Ausgleichspaarungen - aber wie

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Ausgleichspaarungen – Aber wie ?

von Dr. Reinhard Grafe, Halberstadt

Beim Stöbern in alten Fachzeitschriften stieß ich in der Geflügel-Börse Leipzig, Illustrierte Beilage zu Nr. 52, vom 28.Juni 1927 auf einen Artikel „Wichtige Grundsätze der praktischen Züchtung“ eines mir unbekannten Autors. Dieser befasste sich mit dem Zuchtprinzip der Ausgleichspaarung.

Die Thematik halte ich auch hinsichtlich der heutigen Rassegeflügelzucht für aktuell, weshalb ich den Artikel- hier nur geringfügig gekürzt- wiedergeben möchte.

„Das züchterische Talent ist eine Gabe; man hat sie oder man hat sie nicht. Die Anlagen stehen beim einzelnen Individuum unverrückbar fest (hier spricht der Autor erst einmal vom Züchter (R.G.), ihre Entwicklung ist im Gegensatz dazu stark beeinflussbar … Das bedeutete für die Züchter, sich die wichtigsten Züchtungsgrundsätze anzueignen. Auf diesem Gebiet liegt aber gerade bei der Geflügelzucht noch vieles im Argen. Selbst bedeutende Züchter verfahren bei der Zucht vielfach rein gefühlsmäßig, ohne ihre Maßnahmen sonderlich darauf zu prüfen, ob sie den erprobten Grundsätzen der Züchtung standhalten.

Ein weitverbreitetes Züchtungsmanöver ist z.B. Tiere miteinander zu verpaaren, die den entgegengesetzten Fehler aufweisen, beispielweise zu dunkles Gefieder und zu helles, zu tief gestellten Rumpf oder zu hoch gestellten, Steilschwanz und zu flachen Schwanz und was es sonst für entgegengesetzte fehlerhafte Extreme gibt. Man hofft, auf diese Weise bei den Nachkommen einen Ausgleich zu erzielen. Und tatsächlich ist diese Maßnahme auch in vielen Fällen von Erfolg gekrönt, wenigstens scheinbar. Die gegensätzlichen Fehler sind verschwunden, es hat einen Kompromiss auf mittelbarer Linie stattgefunden. Es ist verständlich, dass man ohne Kenntnis der Vorgänge bei der Vererbung diese Maßnahme für durchaus richtig hält und doch ist sie in der Mehrzahl der Fälle grundfalsch. Die Erfolge in der ersten Generation sprechen zwar häufig dafür, doch schon in der zweiten Generation zeigt sich der Missgriff, die Fehler treten hier wieder in alter Stärke nach beiden Richtungen hin auf. Je fester sie in den Familien der Großeltern wurzelten, desto unverfälschter treten sie bei den Enkeln wieder in Erscheinung. Der vermeintliche Ausgleich war also ein Trugschluss und der Züchter ist nach zwei Jahren noch keinen Schritt weiter gekommen…

Vielmehr soll man stets daran denken, dass man dem Zuchtziel immer noch am ehestens näher kommt, wenn man mit zäher Konsequenz zur Nachzucht stets diejenigen Tiere auswählt, die dem angestrebten Ideal am meisten entsprechen. Der Geflügelzüchter ist da verhältnismäßig günstig dran. Er hat schon im nachfolgenden Jahr von seinen jeweiligen Jungtieren Nachzucht im Gegensatz zum Pferde- oder Rinderzüchter… Wichtig ist bei der Paarung zweier Tiere ein offener Blick für den Vorzüge und Nachteile: Ungleich wichtiger aber und ausschlaggebend für dauerhafte Zuchterfolge ist die genauere Kenntnis der Abstammung der Zuchttiere durch mehrere Generationen hindurch. Die Bedeutung von Blutlinien und Ahnentafeln hat man in der Zucht von Pferd, Rind und Hund schon lange erkannt… Blut ist alles!

Mit Tieren zu züchten, deren Abstammung dem Züchter unbekannt ist - selbst wenn sie die Rassemerkmale in höchster Vollendung aufweisen - ist in jedem Fall ein Vabanquespiel. Denn wie leicht können es Blender und Zufallsprodukte sein. Es hat sich gezeigt, dass gerade in der Geflügelzucht die hoch entwickelte Ausstellungsbewertung für den Fortschritt in der Zucht nicht die Bedeutung hat wie die Körung. Durch viele Generationen sind Eigenschaften väterlicher- und mütterlicherseits bekannt. Und die unberechenbaren Faktoren in der Zucht sind damit auf ein Minimum herabgedrückt. Nicht nur einzelne Tiere mit hoher Leistung lassen sich ermitteln, sondern ganze Familien mit durchweg guten Leistungen, sichere Vererber werden leicht erkannt und können für die Zucht in erhöhtem Maße nutzbar gemacht werden. Zufallsprodukte werden rücksichtslos entlarvt.

Das gilt für die Zucht auf Leistung in gleicher Weise wie für die Zucht auf Form, Farbe, Zeichnung usw. Gelänge es, in der Geflügelzucht dieses Vorgehen nachzuahmen, so würden sich ähnliche Erfolge einstellen. Doch kann auch schon dieses Beispiel zielbewusster Zucht den Geflügelzüchtern manchen wertvollen Fingerzeig bieten. Genaue Kenntnis der Abstammung jedes Zuchttieres ist und bleibt die Grundlage jedes dauernden Zuchterfolges. Doch auch damit, dass die gepaarten Tiere aus gut durch gezüchteten Stämmen sind, ist es allein oft nicht getan. Die Nachzucht hält nicht, was die Eltern versprechen. Hier liegt der Grund fast stets darin, dass in der Vereinigung der Elterntiere Blutströme (die, wie wir heute durch die Genetik wissen, in ihren konkreten Anlagen gekennzeichnet sind, R.G.) aufeinander getroffen sind, die nicht zueinander passen.

(Das folgende Beispiel mag das veranschaulichen: Nutzt man zur Verbesserung eines Merkmales ein gleichfarbiges, lediglich anders gezeichnetes Tier der gleichen Rasse, so wird das oft gelingen. Verwendet man ein gleichfarbiges Tier einer anderen Rasse, so besteht die Gefahr einer Verschlechterung der Farbe. Hieraus lässt sich schließen: Verschiedene Rassen bedeuten verschiedene Formen, was längere züchterische Bearbeitung = größerer genetischer Unterschied bedeutet. Die verschiedenen Farbenschläge einer Rasse stehen sich hingegen- oft sogar noch durch Kreuzungen aktualisiert- in der Regel näher (R.G.)

Man hat in der Pferdezucht (zur Bezeichnung des erfolgreichen Prinzips der Zusammenstellung von Zuchtpaaren R.G.) das Wort vom Blutanschluss geprägt. Es zeigt sich, dass man stets mit solchen Elterntieren die besten Erfolge hatte, die in ihrem Stammbaum mehrere gemeinsame Ahnen aufweisen, die also bei dem anderen Tier Blutanschluss fanden (d.h. auf ähnliche Anlagen trafen) Das läuft hinaus auf häufige Verpaarung mehr oder minder stark verwandter Tiere.

Man sagt, die Inzucht sei ein zweiseitiges Schwert und in der Tat, so verheerend ihre Wirkung sein kann, wenn sie am falschen Ort betrieben wird, so einzigartig ist ihr Erfolg in der Hand des geschickten Züchters. Hier wird sie zum Instrument, das Wunder schafft! Alle bedeutenden Erfolge in der Tierzucht sind letzten Endes zurückzuführen auf geschickte Anwendung von Inzucht. Man braucht dabei keineswegs gleich an die Paarung von Geschwistern, von Eltern mit ihren Kindern, usw. zu denken. Diese nennt man im Unterschied von der übrigen Verwandtschaft Inzestzucht.

Inzucht bedeutet Anhäufung bestimmter Erbanlagen… Die Eigenschaften der Elterntiere treten bei der Nachzucht in verstärktem Maße in Erscheinung, gute und schlechte in gleicher Weise und darin liegt die Gefahr, der sich jeder bei der Anwendung der Inzucht bewusst sein muss.

Schade, dass uns der Autor, der seinen Artikel nur mit einem Kürzel gezeichnet hat, unbekannt ist. Seine überzeugende Ableitung des Prinzips der Ausgleichspaarung aus der erfolgreichen Züchtung der großen Nutztiere wäre es wert, in unserer Erinnerung mit seinem Namen verbunden zu bleiben.

Demjenigen, dem die Auffassung des Autors zur eingangs gestellten Frage nicht deutlich genug geworden ist, will ich sie kurz zusammenfassen: Dem fehlerhaften Merkmal eines Paarungspartners begegne stets mit dem korrekten Merkmal des anderen Partners!

Das bedeutet eine strengere Selektion der Zuchttiere. Tatsächlich wird doch mit dem konsequenten Ausschluss fehlerhafter Tiere in der Elterngeneration der Anteil der fehlerhaft anfallenden Nachzuchttiere vermindert. Die Fehler werden so also wirkungsvoller bekämpft.

Wer den Erfolg seines züchterischen Bemühens sichern will, überlege jeden Schritt!

Eine chinesische Weisheit sagt: Willst du schnell ans Ziel kommen, geh‘ langsam!